Gelbe Ohrringe in Form von gebogenen Bleistiften, im Hintergrund ihre Atelierwand voller Bücher und Utensilien. Roberta Bergmann begrüsst mich mit einem fröhlichen Lachen.
Sie wird zu recht „Kreativ-Expertin“ genannt:
Pro Jahr rund 12 Ausstellungen, Autorin zahlreicher Bücher, Illustratorin, Betreiberin der Community & des Podcasts „Der kreative Flow“, Design Award Preisträgerin und vieles mehr.
Ich bat sie im Zuge der Präsentation ihres neuen Buches „Kreative Identität und Selbsterkenntnis“ (2024) um ein Gespräch über die Herausforderungen im kreativen Alltag und wie achtsame Praktiken hier entgegenwirken können. Hochsensibilität wurde in unserem entspannten Gespräch genauso thematisiert, wie vier ihrer Strategien um sich und die kreativen Energien zu schützen.
Ich las von einer aktuellen Umfrage der australischen Plattform „Never not Creative“. 4000 Personen in der Kreativbranche und aus dem Marketing wurden international über ihren mentalen Geisteszustand abgefragt. 70 Prozent gaben an, innerhalb der letzten 12 Monate in einem Burnout gewesen zu sein. Schockierende Zahlen.
Neugierig war ich daher auf Robertas Einschätzung, wie es um den Zustand der Kreativschaffenden steht.
„Ich hab das Gefühl, und das ist nur ein Gefühl, ich erfasse das empirisch ja nicht, in meinem Umfeld oder Netzwerk gibt es wieder mehr Burnout - Anzeichen bei Kreativen.“ (...)
„Ich höre von einigen aus meinem Umfeld, die kreativ sind, dass sie eben auch in Behandlung sind, sei es psychologisch oder psychotherapeutisch, oder dass es so akut ist, dass sie (…) stationär betreut werden. (...)
Deswegen glaube ich, sagen zu dürfen, dass es tatsächlich stärker wird, das Problem.“
Sie betont, dass Stress per se ja nicht schlecht ist. Er kann auch motivieren und positiv herausfordernd sein. Schwierig wird es, wie sie sagt: „…wenn es dann halt kippt und zuviel wird.“ „Wir tendieren ja auch über den gesunden Punkt hinauszugehen.“ Kommen dann noch äussere Einflüsse durch Politik, Wirtschaft, Kriege und Gesellschaftskrisen hinzu, dann kann es kritisch werden. Da ist Selbstliebe und Vertrauen in uns sehr wichtig.
Ein Faktor, der hier auch stark mit einfliesst, ist Hochsensibilität.
„Viele Kreative sind hochsensibel oder haben die Tendenz dazu. Dies liegt in der Natur der Dinge.“
Der Flowforscher Mihály Csíkszentmihályi hat das untersucht und auch Berit Andronis erkannte in ihrer Forschung, dass das kreative Schaffen schon in Kindheit und Jugend anfängt. Hier begründet sich das grosse Interesse für Beobachtung.
Kreative Personen sind meist offen, neugierig und haben feinen Antennen. Sie nehmen oft mehr wahr.
Ich muss schmunzeln, denn nicht nur bei Maurizio, sondern auch bei mir nehme ich diese Tendenzen stark wahr. Hochsensibel zu sein, ermöglicht eine tiefere Verarbeitung der Welt, andererseits aber auch eine Herausforderung alle Impulse zu verarbeiten. Kreativität kann dafür dann wieder ein gutes Ventil sein, um sich auszudrücken. Möchtest du auch wissen ob du hochsensibel bist? Hier findest du einen Test (Bonus aus dem Buch).
Zu welchen konkreten Strategien rät nun Roberta um als Kreativschaffender gelassen zu bleiben ? In unserem Gespräch haben sich vier herauskristallisiert:
1) Wie verdiene ich Geld?
Roberta gibt in ihrem Buch "Kreative Identität und Selbsterkenntnis" einige Tipps, wie man sich besser zum Thema "Geldverdienen" positioniert und was Geld mit Selbstwert zu tun hat.
Auch wenn es banal ist, „ein Tipp, der da ganz viel Klarheit schaffen und Druck rausnehmen kann.“
2) Nein sagen
Es ist okay aus Prestigegründen Projekte zu machen die finanziell nicht rentabel sind, aber dann ist es auch wichtig, dass ein zweites Projekt das wieder ausgleicht. Da gilt es darauf zu achten, konsequenter zu sein, den Zeitfaktor im Auge zu behalten und „uns nicht selbst auszubeuten“.
3) Zeit für Isolation
Im Buch ist „Kreative Identität beschützen“ ein eigenes Kapitel gewidmet und Isolation eine wertvolle Strategie. „Ein negativ geprägter Begriff aber bewusst gewählt“ sagt sie.
Gerade bei Leuten, die sensibel sind, kann „alles mal aussen vor lassen“ sehr hilfreich sein.
Flowforscher Mihály Csíkszentmihályi spricht von „paradoxen Extremen“ der Kreativen. Auf der einen Seite sind sie sehr gesellig und lieben Austausch, brauchen aber auch Ruhe und Zeit für Verarbeitung. So können auch kreative Blockaden gelöst werden.
„Einige wissen nicht, was sie tun sollen, wenn sie alleine sind. Das gibt es bei Kreativen glaube ich eher weniger, weil wir gern mit uns allein sind.“
Dazu fällt mir die Studie von Wilson ein, der Testpersonen bat, einfach nur 15 Minuten in einem leeren Raum zu sitzen. Viele hielten das nicht aus, und gaben sich lieber Elekroschocks, als mit sich allein zu sein. Dabei würden uns Mikropausen während des Alltag so gut tun.
4) Bewegung
Im Buch „Kopf frei für kreativen Flow“, das Roberta schon 2018 veröffentlichte, zitiert sie eine Harvard Studie. Die Kernaussage: Leute konnten Aufgaben kreativer lösen, wenn sie sich vorher bewegt hatten. „Der Körper ist ja ein Bewegungsapparat.“
Kreativ sein & Bewegung lässt sich aber auch gut verbinden.
Robertas Podcast-Gast Judith Holofernes, die Sängerin von „Wir sind Helden“ verriet ihr zum Beispiel, dass sie ihre Texte gerne im Gehen schreibt, so wie der Autor Dr. Jörg Bernardy häufig dabei philosophiert, eine Technik, die schon die Denker der Antike zu schätzen wussten.
Unsererseits eine grosse Buch- Empfehlung an alle, die kreativ und schöpferisch sind und es weiterhin bleiben wollen!
Kreative Identität & Selbsterkenntnis (2024)
Wie Sie ihr Potenzial ausschöpfen und sich den Zugang zu ihren Ressourcen sichern
Verlag: Hermann Schmidt
Grafikerin: Eva Finkbeiner
Weitere Infos zu Roberta Bergmann:
Hier der komplette Dialog zum ansehen und oder anhören!
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